„Weihnachten war der letzte große Höhepunkt in 2015 für mich. Bescherung für die fünf Afghanen und einen Syrer gab es allerdings schon am 23.12. An dem Tag haben wir gemeinsam auch die Weihnachtsgans verputzt, die die Flüchtlinge zuvor von einem Nordstrander geschenkt bekommen hatten. Heiligabend habe ich dann mit Verwandten gefeiert. Wir haben uns auf dem Bauernhof getroffen, der mich wie kein anderer Ort geprägt hat, auf dem ich aufgewachsen bin. Ein Tag später folgte dann das große Weihnachtsfest mit 19 Flüchtlingen meiner Heimatinsel Nordstrand. Alle saßen zusammen in meinem Wohnzimmer an einem Tisch. Wir haben Gemüsesuppe und Bratäpfel gegessen, danach noch gesungen – es war ein tolles Fest!
Nach Weihnachten habe ich dann aber gemerkt, dass ich dringend eine Pause brauche. Nach diesem aufregenden Jahr musste ich endlich einmal Luft holen. Also habe ich drei Tage gemacht, was ich sonst nie mache: nichts. Einfach nur ein bisschen Zeit für mich genießen- herrlich!
In den nächsten Tagen reise ich nach Berlin, um noch einmal Yashar – meinen ‚Adoptivsohn‘, wie sie hier auf Nordstrand sagen – zu besuchen. Er fehlt mir. Seit er und seine Familie vor sechs Wochen von Seeth (bei Husum) in die Hauptstadt weiterziehen mussten, ist einiges passiert. Die Schwester von Yashar hat ihr Kind zur Welt gebracht. Und die Familie hat die Flüchtlingsunterkunft in Berlin gewechselt. Ich bin gespannt, wie es ihnen allen geht!
Sorgen mache ich mir derzeit aber vor allem um einen anderen Afghanen auf Nordstrand. Amir*, ein extrem schüchterner und magerer junger Mann, isst seit Wochen kaum noch etwas. Irgendetwas bedrückt ihn, aber er will sich mir nicht öffnen. Seine anderen afghanischen Mitbewohner versuchen alles, um ihn in die Wohngemeinschaft zu integrieren. Aber er blockt alles ab, sagte mir zuletzt, er würde gerne weiterziehen in eine große Stadt. Aber wie nur soll er dort Anschluss finden, wenn er es nicht einmal auf unserer Insel schafft?“
*Name geändert, Anm. d. Red.
So erlebt Reporter Ibrahim Naber die Entwicklung von Anneline Kleeberg: