Wie wichtig ist das ehrenamtliche Engagement von Ärzten in der Flüchtlingskrise?
Falko Liecke: Ohne ehrenamtliches Engagement könnten wir diese großartige Unterstützungsleistung nicht bringen. Die derzeitige medizinische Versorgung ist nicht optimal, gerade in den Notaufnahmeeinrichtungen. Deshalb sind wir zwingend auf die Ärztinnen und Ärzte, die uns unterstützen, angewiesen.
Wie unterstützt der Bezirk Neukölln aktuell Ärzte, die freiwillig helfen?
Wir versuchen, über Honorarkräfte diese Situation zu meistern. Ein großer Kritikpunkt ist, dass es im Land Berlin kein geordnetes Verfahren dafür gibt. Ich muss meine Ärzte teilweise davon abhalten, privat in die Apotheke zu gehen und Medikamente zu kaufen. Da müssen wir ein geregeltes Verfahren schaffen, dass sie über einen Bestellschein in der Apotheke einkaufen können. Das Problem ist, dass viele Flüchtlinge noch nicht registriert sind, damit noch keinen Grünen Schein haben, mit dem sie zum Arzt gehen könnten. Viele wissen auch nicht, wo die Ärzte sind. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, zuerst Erste Hilfe vor Ort zu leisten, um dann bei chronischen Erkrankungen und Notfällen in Kooperation mit dem Krankenhaus Neukölln zu arbeiten. Wir wollen drei bis vier weitere Ärzte im Gesundheitsamt einstellen. Wenn wir welche gefunden haben, werden sie explizit für diese Notfallversorgung im Schichtbetrieb eingestellt. Das soll nicht über Honorarkräfte oder Ehrenamtler abgeleistet werden.
Wie sollte die Behandlung nicht-registrierter Flüchtlinge im Idealfall aussehen?
Wenn wir vor Ort sehen, dass es Bedarf gibt, haben unsere Ärzte, die im Gesundheitsamt beschäftigt sind, die Erlaubnis, in einer Apotheke verschreibungspflichtige Medikamente zu kaufen und die über die Kostenstelle der Senatsverwaltung abzurechnen. Das ist Verwaltungstechnik, die wir aber benötigen, um den Patienten die Medikamente zu besorgen. Viele Flüchtlinge kommen auch mit Restbeständen an Medikamenten aus ihrem Heimatland. Das ist gut, denn dann sehen wir direkt, welche Medikamente benötigt werden. Es gibt viele Medikationen, die wir beschaffen, was mitunter richtig ins Geld gehen kann, aber derzeit gibt es keine andere Lösung.
Sie sprechen von Honorarkräften, viele von ehrenamtlichen Ärzten, die Medikamente teils von Spenden, teils aus eigener Tasche bezahlen. Ist das die Lösung?
Nein. Das ist überhaupt keine Lösung. Ich möchte dass es ein Regelverfahren für Ärzte in Flüchtlingsunterkünften gibt. Medikamente für Menschen ohne Gesundheitskarte sollen über uns abgerechnet werden. Das muss die Praxis werden. Niemand soll etwas aus eigener Tasche leisten. Wir haben eine Kooperation mit dem Krankenhaus Neukölln. Über die Krankenhausapotheke kommen Ärzte in den Unterkünften auch an Medikamente. Das hilft, trotzdem fehlt das Regelverfahren, wie wir die Menschen in Notunterkünften medizinisch versorgen können.
Sie glauben also, dass Menschen ihre Heimat verlassen, nur um hier eine bessere ärztliche Versorgung zu bekommen?
Nein, die Menschen fliehen aus ganz anderen Gründen. Es geht aber auch darum, dass wir in Europa eine andere Flüchtlingsverteilung bekommen. Es hat sich in der Welt herumgesprochen, dass Deutschland einen hohen Gesundheitsstandard bietet. Ich denke aber, wir können Deutschland nicht überbelasten. Ich glaube, dass wir bereits am Ende unserer Leistungsfähigkeit angekommen sind. Auch für Berlin sehe ich das in weiten Teilen so. Für mich ist die Flüchtlingskrise allerdings kein deutsches Problem, sondern eine europäische Aufgabe, die es zu lösen gilt.
Viele Ärzte sprechen sich für eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge aus, weil damit ein Bürokratieabbau einhergehen würde. In einigen Bundesländern gibt es sie bereits. Wieso dauert die Einführung in Berlin so lange?
Es sind viele Verwaltungsprozesse zu organisieren. Wir sind nicht vorbereitet auf diesen Zustrom von Menschen. Solche Verfahren brauchen Zeit. Ich denke, dass die Gesundheitskarte für die Menschen, die hier sind, der richtige Weg ist. Ich möchte, dass sich die Flüchtlinge ganz normal mit unserer Bevölkerung mischen und dass sie die normalen Wege und Strukturen auch benutzen können, die wir für die schon hier lebende Bevölkerung auch haben.
Das Interview führte Johannes Malinowski.