Eine anständige medizinische Versorgung ist für viele Flüchtlinge überlebensnotwendig. Flucht, Krieg und Folter in ihren Heimatländern hinterlassen oft schwere Verletzungen, die dringend behandelt werden müssen. Viele Frauen, die ankommen, sind zudem hochschwanger. Politik und Betreiber von Flüchtlingsunterkünften sind damit häufig überfordert.
Im Schiedsrichter-Raum einer Turnhalle hat Dr. Renate Schüssler ihr Arztzimmer eingerichtet. Auf ein paar Quadratmetern behandelt die 73-Jährige ihre Patienten in einer Notunterkunft im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Alles ist improvisiert, die Verhältnisse sind weit vom Standard deutscher Arztpraxen entfernt. Auf dem Flur sitzen ihre Patienten, die häufig kein oder nur sehr schlechtes Englisch sprechen und auf ihre Behandlung warten. Kommuniziert wird mit Händen und Füßen – oder einem Lächeln, das Schüssler trotzdem für jeden übrig hat.
Renate Schüssler hat 30 Jahre lang eine Kinderarztpraxis betrieben und engagiert sich seit ihrer Pensionierung ehrenamtlich im Bezirk. Unser Kontakt zu ihr kam über eine Helferin der Initiative „Moabit Hilft“ zustande. Wir haben sie im November zum ersten Mal getroffen.
Renate Schüssler lebt alleine. Uns imponiert, wie die gebürtige Hessin mit der Situation umgeht. Sie ist immer erreichbar, wird auch abends noch zu Hause angerufen und um Rat gebeten, wenn ein Flüchtlingskind krank ist. Schüssler ist freundlich, aber bestimmt. Sie sieht sich selbst nicht als „Gutmensch“, sondern sagt, sie wolle dort anpacken, wo Hilfe gebraucht wird. „Edle Antworten“, wie sie es nennt, kann sie auf die Frage nach ihrer Motivation nicht geben. Sie sei eine Macherin und Überzeugungstäterin. Wer Hilfe benötigt, solle sie auch bekommen.
Im Sommer hat Schüssler dabei geholfen, die ärztliche Versorgung im LAGeSo in Moabit aufzubauen. Im Herbst haben die landeseigenen Berliner Krankenhausbetrieben Charité und Vivantes diese Aufgabe übernommen. Seitdem versorgt sie vor allem Flüchtlinge in Unterkünften in Kreuzberg und Neukölln. Ob sich die medizinische Versorgung der Flüchtlinge im neuen Jahr verbessert und professioneller wird, muss sich zeigen. Frau Schüssler möchte ihren Job nur so lange machen, bis die Politik eine offizielle Lösung gefunden hat. „Ich wünsche mir, dass ich überflüssig werde.“, sagt sie.
Ehrenamtliche Ärzte stemmen die Gesundheitsversorgung nicht-registrierter Flüchtlinge
Die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge, die noch nicht registriert sind, wird zum Großteil von ehrenamtlichen Medizinern geleistet. Eine offizielle Zahl gibt es nicht. Derzeit haben lediglich registrierte Flüchtlinge Anspruch auf eine medizinische Grundversorgung – garantiert durch einen grünen Schein, den sie einmal im Quartal abholen müssen.
Neben freiwilligen Helfern wie Renate Schüssler gibt es von der Ärztekammer und der Gewerkschaft Marburger Bund einen Pool von etwa 300 ehrenamtlichen Fachärzten aller Richtungen, um Flüchtlinge zu versorgen.