Drei Dinge hat Hamza Mahfoods Mutter ihm mit auf den Weg gegeben, an jenem Tag, an dem er aus Syrien geflohen ist. Diskutiere nicht über Politik, gib niemals zu, dass du Atheist bist, und erzähle niemandem, dass du Metal Musik hörst.
Die Klischees und Ängste, von denen man immer wieder hört, wenn über die Flüchtlingsströme nach Deutschland gesprochen wird – vor der „Islamisierung”, vor „Überfremdung”, davor, dass unsere westlichen Werte unterdrückt werden könnten – sie scheinen unbegründet, wenn man Menschen wie Hamza Mahfood trifft. Hamza kennt amerikanische Sitcoms in- und auswendig, er glaubt nicht an Gott, aber Weihnachten mag er wegen der Werte, für die das Fest steht.
Und das, obwohl er vor August 2015 noch nie in Europa, oder in den USA war. Hamza ist aus Syrien geflohen. Vor dem Krieg, aber auch, weil er schon immer westlich tickte, wie er sagt.
Bei unserem ersten Treffen hat Hamza mir und meiner Kollegin Danica Bensmail von einer Englischprüfung in Syrien erzählt, in der er über einen Ort schreiben sollte, den er gern mal besuchen würde. Er hat über San Francisco geschrieben – und ist durch die Prüfung gefallen. Weil er, wie er glaubt, nicht über Syrien geschrieben hat, sondern ausgerechnet über die USA. San Francisco ist für Hamza weiter entfernt, als es für uns je war, aber hier in Berlin, sagt er, fühlt er sich ein wenig so, wie er glaubt, dass sich San Francisco anfühlen muss: frei, so zu sein, wie er möchte.
Mit seinen 20 Jahren ist Hamza sehr weltoffen. Die Deutschen findet er großartig und glaubt, dass er sich hier eine wunderbare Zukunft aufbauen kann, wenn er sich an die Regeln hält. Die Regeln – das heißt derzeit aber vor allem: Warten. Auf Asyl, auf Papiere, vor dem LAGeSo. Hamza glaubt an Deutschland, obwohl er Nacht für Nacht und Tag für Tag genau an dem Ort steht, an dem die Probleme unseres Systems besonders deutlich werden. Doch er erträgt es geduldig. Noch. Hamza möchte endlich weiterkommen, große Schritte in unsere Gesellschaft machen. Deutsch lernen, möglichst noch im kommenden Jahr an die Uni und Englische Literatur studieren. Das sind große Träume, nicht unbedingt realistisch.
Wie lang kann das gut gehen – ein lebenshungriger, ehrgeiziger junger Mensch auf der einen Seite und die schwerfällige Bürokratie, die Sprachbarrieren, der momentane Stillstand auf der anderen Seite? Wir werden es in den kommenden Monaten beobachten.
Wie Flüchtlinge in Deutschland studieren können
Zum Bildungsstand der Flüchtlinge in Deutschland gibt es kaum genaue Zahlen. Angaben zum Besuch von Schulen und Hochschulen erfolgen freiwillig. Nach einer Erhebnung des Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge (BAMF) haben rund 13 Prozent der Flüchtlinge eine Hochschule besucht, 18 % besitzen einen Gymnasialabschluss. Syrer haben unter allen Flüchtlingsgruppen einen überdurchschnittlich hohen Bildungsstand. Rund ein Viertel von ihnen hat bereits studiert.
Dazu, ob und wie Flüchtlinge in Deutschland studieren dürfen, gibt es keine bundesweite einheitliche Regelung. Immerhin haben sich die Kultusminister der einzelnen Länder kürzlich darauf geeinigt, Flüchtlingen den Zugang zu Hochschulen in einem dreistufigen Verfahren zu erleichtern – auch, wenn Dokumente zu Schulabschlüssen nicht oder nicht mehr vorliegen.
Darüber hinaus richten die einzelnen Hochschulen und Universitäten in Deutschland eigene Programme speziell für Flüchtlinge ein. An der Freien Universität Berlin können Flüchtlinge derzeit im “FU@Welcome”-Programm einzelne Lehrveranstaltungen und parallel Deutschkurse besuchen.
Ganz ohne Zugangsbeschränkung können Flüchtlinge an der extra für sie neu gegründeten Kiron Online-Universität studieren. Sie können sich in verschiedene Fächer einschreiben und haben dann zwei Jahre Zeit, notwendige Zeugnisse und Papiere aus der Heimat nachzureichen, um später an einer der staatlichen oder privaten Partnerhochschulen den Abschluss zu machen. Die Kiron-Universität ist ehrenamtlich gegründet worden, das Geld für die Studienplätze wird per Crowdfunding gesammelt.