Bodrum. Seit Tagen sitzt Hamza Mahfood in der türkischen Küstenstadt fest und wartet. Darauf, dass er endlich sein Leben riskieren kann, um es zu retten. Darauf, endlich in ein Boot zu steigen und Griechenland zu erreichen.
Hamza ist auf der Flucht. Aus seiner Heimat, der Stadt Salamiyya in Syrien. Die Stadt liegt nur 40 Kilometer entfernt von Homs, wo Oppositionelle gegen die Truppen von Präsident Baschar al-Assad kämpfen. Die meisten Bekannten, mit denen Hamza über den Libanon in die Türkei gereist ist, sind bereits weitergezogen. Er wäre gerne mit ihnen gegangen. Aber sein Vater hat einen anderen Schleuser bezahlt, dem Hamza nicht vertraut, an den er nun jedoch gebunden ist.
Sieben Abende harrte er in den Dünen aus
Sieben Versuche, Griechenland zu erreichen hat Hamza hinter sich. Sieben Abende, an denen es plötzlich losging, der Schleuser die Flüchtlinge zusammentrommelte und an den Strand trieb. In den Dünen warteten auf jenen Augenblick, in dem die Küstenwache außer Sicht war. Einmal schaffetn sie es, doch das Boot, hoffnungslos überfüllt, sank wenige Meter vom Strand entfernt. Ein anderes Mal entdeckte die türkische Küstenwache sein Boot auf offener See. „Sie haben uns umkreist und das Boot absichtlich zum Kentern gebracht und dabei gefilmt“, erzählt Hamza. Erst als einer der Flüchtlinge in die Schiffsschraube geriet und sich schwer verletzte, soll die Küstenwache die Menschen gerettet haben.
Hamza bekommt es mit der Angst zu tun. Er schwört sich, in kein überfülltes Boot mehr zu steigen. Bis sein Schleuser ihn erneut an den Strand befiehlt. „Das Boot wird nicht voll sein“, verspricht er. Als Hamza am Strand ankommt, sieht er schon Familien, alte Menschen, Kinder. Hamza will zurück, doch dafür ist es zu spät. Die Truppe der Schleuser zwingt die Menschen in die Boote. Wer einmal so weit gekommen ist, darf nicht zurück, er könnte die Schleuser verraten. Hamza weigert sich, ein Mann schlägt mit einem Stock nach ihm, Hamza schubst ihn zurück, dann spürt er den kalten Lauf einer Waffe an seinem Kopf. „In dem Moment war mir klar, dass ich nur eine Wahl hatte. Entweder auf der Stelle durch eine Kugel zu sterben, oder das Risiko einzugehen und auf offener See zu ertrinken. Also bin ich ins Boot gestiegen“, sagt er.
Die Fahrt geht gut – doch dann taucht erneut die türkische Küstenwache auf. Wieder zieht ihr Boot einen Kreis um das Boot der Flüchtlinge – doch diesmal nicht, um es zu kentern, sondern um es mit einer kleinen Welle in griechische Gewässer zu schubsen. „Fünf Minuten noch“, sollen die Türken gerufen haben, „dann seid ihr in Griechenland“.
In Griechenland kann Hamza Mahfood zum ersten Mal kurz ausruhen. Mit einem Freund staunt er abends über den Touristentrubel, betrinkt sich zum ersten Mal, lernt Norweger und Deutsche kennen. Dann bekommen sie Papiere und setzen ihre Reise fort. Hamzas Ziel: Deutschland.
Europäer tragen T-Shirts und Hüte
Mit der Fähre fährt er nach Athen, dann nach Thessaloniki. Dann: zehn, zwölf, fünfzehn Stunden Fußmarsch, Hamza Mahfood weiß es nicht mehr genau, bis er und einige andere Mazedonien erreichen. In einem Zug fährt er von dort nach Serbien. Der Wagon ist so voll, dass er zwölf Stunden lang gekrümmt an einem Fenster steht. Die Oberschenkel schmerzen, aber irgendwann werden sie so taub, dass er sie nicht mehr spürt.
In Serbien regnet es. Tagelang schlafen die Flüchtlinge in einem Zelt auf durchweichtem Boden. In Belgrad kaufen Hamza Mahfood und ein paar andere junge Männer sich Shorts, T-Shirts und Hüte. „Wir dachten, das sehe besonders europäisch aus, mit den Hüten“, sagt Hamza Mahfood. Heute kann er darüber lachen.
Dann endlich bekommen sie Papiere, können weiter – es folgt ein tagelanger Fußmarsch nach Ungarn. Dort klettern sie über den Stacheldrahtzaun. Hamza schafft es unversehrt, doch in dem Dorf hinter der Grenze, werden sie von den Menschen feindselig empfangen. „Niemand wollte uns sagen, wie wir weiterkommen. Stattdessen hat die Polizei uns gejagt“. Hamza rennt vor den Beamten weg, ein Taxifahrer versteckt ihn hinter seinem Auto. Hamza ist der einzige aus der Gruppe, der an diesem Abend nicht verhaftet wird. Für einen Sonderpreis fährt der Taxifahrer ihn bis Budapest. Dort telefoniert er mit einem Bekannten aus Österreich, der ihm schließlich die Fahrt nach Deutschland organisiert. Von München geht es für wenige Tage nach Hamburg, dann wird er nach Berlin geschickt. Hier fühlt er sich zum ersten Mal frei.
„Wann immer ich die Menschen etwas frage, sei es auch nur nach einem Straßennamen, antworten sie mir mit einem Lächeln“, sagt er.