Hamlet im Theater Berliner Ensemble zu sehen – das war für Hamza Mahfood eines der schönsten Erlebnisse des vergangenen Jahres. Der 22-jährige Syrer ist einer der zehn Protagonisten von „Schaffen wir das?“, dem 365-Tage-Langzeitprojekt zur Flüchtlingskrise. Er sitzt in seinem Zimmer im Berliner Bezirk Tempelhof. Ein Bett, zwei Stühle, ein Schreibtisch – viel Besitz hat der junge Mann, der vor einem Jahr von Syrien nach Deutschland geflohen ist, nicht. Aber auf dem Schreibtisch liegen zwei Bücher. „Hamlet“ und „The Tempest“ von William Shakespeare. Hamza Mahfood ist stolz auf diese beiden Bücher, denn er hat sie von seiner Dozentin geschenkt bekommen, als Abschluss für den ersten Kurs, den er an einer deutschen Universität belegt hat.
Genaue Zahlen kennt niemand
Mahfoods großes Ziel ist es, eines Tages in Deutschland englische Literatur zu studieren. Als Gasthörer war er bereits ein Semester lang an der Humboldt Universität Berlin dabei. Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung – doch wenn in diesen Tagen an vielen deutschen Universitäten das neue Wintersemester beginnt, wird HamzaMahfood wie viele andere studierwillige Flüchtlinge nicht dabei sein. Zu hoch sind noch die Hürden – Zulassungsvoraussetzungen, Sprachkenntnisse und Organisation. Im Oktober 2015 prognostizierte der Bildungspolitiker Jürgen Zöllner, dass 50.000 Flüchtlinge an die deutschen Unis strömen würden. Doch genaue Zahlen kann bis heute niemand nennen.
Dabei bemühen sich deutsche Universitäten schon seit einigen Semestern darum, Flüchtlinge auf dem Weg in ein Studium zu unterstützen. So bietet die Humboldt Universität besagte Gasthörerschaften an, für spezielle Beratungsangebote wird außerdem mit Dolmetschern in Arabisch und Farsi zusammengearbeitet. 20 Bewerber, die sich als Geflüchtete zu erkennen gegeben haben, zählt die Berliner Universität derzeit. Wie viele davon letztendlich auch eine Zulassung zum Studium erhalten und immatrikuliert werden können, stand zum Zeitpunkt der Anfrage der „Welt“ noch nicht fest.
Die Bewerber wissen oft nicht wie es mit Ihnen weitergeht
An der Freien Universität Berlin gibt es das Programm „Welcome@FUBerlin“. Hier werden unter anderem Deutschkurse und Studienvorbereitungskurse angeboten – aktuell nehmen 90 Menschen an den Deutschkursen und 80 an den studienvorbereitenden Kursen teil. Dr. Florian Kohstall, Koordinator von „Welcome@FUBerlin“, erwartet außerdem mehrere Dutzend Teilnehmer, die mit Semesterbeginn an regulären Seminaren und Vorlesungen teilnehmen – „eine exakte Zahl lässt sich hier noch nicht beziffern“, sagt er. Die Nachfrage verteile sich auf sehr viele Fächer, im Fokus stünden aber vor allem prestigeträchtige Fächer wie Pharmazie und medizinische Studiengänge, erläutert Kohstall. „Schwierigkeiten gibt es vor allem dadurch, dass der Aufenthaltsstatus oftmals noch nicht geklärt ist und die Bewerber nicht wissen, wie es bei ihnen weitergeht“, sagt er. Außerdem hätten die Kursteilnehmer viele Behördengänge zu erledigen, was Fehlzeiten in den Kursen zur Folge hätte.
Auch die Universität Hamburg unterstützt Flüchtlinge. Seit einem Jahr läuft das Programm #UHHhilft, gleich zu Beginn kamen 539 Flüchtlinge zusammen, um die Uni und das deutsche Hochschulsystem besser kennenzulernen. Für das kommende Semester haben sich nun sogar 761 Geflüchtete für das Projekt angemeldet. Doch die Anforderungen für ein Studium in Deutschland sind hoch. Für die meisten Bachelor-Studiengänge müssen Bewerber das Sprachniveau C1 erreichen – die deutsche Sprache also nahezu perfekt beherrschen. Außerdem müsste die Studienreife nachgewiesen werden.
Hamza Mahfood hat in Syrien sein Abitur abgelegt und bereits ein Studium begonnen – in Philosophie. Seine Zeugnisse und Unterlagen hat er vor der Flucht fein säuberlich in Folien gelegt und abgeheftet. Den Hefter hat er den weiten Weg über das Mittelmeer, durch Osteuropa bis nach Deutschland immer bei sich getragen. Nun liegt er auf seinem Schreibtisch.
In Großstädten sind die Hürden besonders hoch
Doch damit ist Mahfood kein Regelfall. Viele Flüchtlinge haben die nötigen Dokumente entweder gar nicht erst aus ihrem Heimatland mitgenommen oder sie auf der Flucht nach Europa verloren. Deshalb bestehen deutsche Hochschulen zunehmend nicht mehr strikt auf den Nachweis dieser Papiere. Geflüchtete können dann beispielsweise auch in Seminaren ihre Kenntnisse unter Beweis stellen und so den Zugang zum Studium erhalten.
An der Hochschule Magdeburg-Stendal können Flüchtlinge seit August 2015 auch ohne Papier ein Studium beginnen. Nach einem Orientierungsgespräch müssen sie dazu eine Eignungsfeststellungsprüfung absolvieren. Allerdings herrschen in Magdeburg-Stendal auch gute Rahmenbedingungen für einen schnellen und einfachen Start ins Studium: Nur wenige Bachelor-Studiengänge sind zulassungsbeschränkt.
Das sieht in den Großstädten wie Berlin, München oder Hamburg ganz anders aus. Viele Fächer sind hier beispielsweise durch einen Numerus Clausus zulassungsbeschränkt, die Bewerber ringen um wenige Studienplätze, oftmals gibt es lange Wartelisten – und für Flüchtlinge keine Sonderbehandlung. „Für Geflüchtete gelten formal dieselben Zulassungsvoraussetzungen wie für andere Studienbewerber und – bewerberinnen mit einer ausländischen Hochschulzugangsberechtigung“, sagt auch Ibou Diop, Pressereferent HU Berlin.
Keine Quoten
Deutschlandweit liegt die Quote für ausländische Bewerber meistens zwischen fünf und zwölf Prozent. Zwar haben die Bundesländer die Möglichkeit, dieses Niveau anzuheben. Doch eine Änderung könnte rechtliche Probleme nach sich ziehen. Vor allem in Studienfächern wie Humanmedizin und Pharmazie klagen sich schon jetzt viele Studenten ein. Dort dann Flüchtlinge zu bevorzugen sei problematisch, heißt es in einem Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Hochschulgang für Geflüchtete. Ratsam sei es, alle Studierwilligen gleich zu behandeln und keine besonderen Quoten für Flüchtlinge einzuführen. Dafür sollten sie allerdings unterstützt werden, um „fluchtbedingte Belastungen und Benachteiligungen auszugleichen“.
Mit Zulassungsbeschränkungen beschäftigt Hamza Mahfood sich noch lange nicht. Er konzentriert sich in den kommenden Monaten zunächst auf seinen Integrationskurs, jeden Tag hat er dafür Deutschunterricht. Da muss der nächste Kurs an der Universität erst einmal warten.
von
Julia Maria Grass, Julia Heinke, Max Zimmermann