23. August 2016, 16:10 h

Ein Jahr auf 18 Seiten

Das Magazin der Süddeutschen Zeitung hat vor einem Jahr seine eigene Langzeit-Recherche zur Flüchtlingskrise gestartet. Die schließlich veröffentlichte Geschichte heißt "Schaffen wir das?"

15. August 2016, 16:05 h

„Das Töten ist eher eine Nebensache“

Im Gespräch mit „Schaffen wir das?“ erklärt der Konfliktforscher Ulrich Wagner, warum Angst eine Waffe ist und wie man sich vor seinen eigenen Gefühlen schützen kann.

3. August 2016, 11:28 h

Erst Kommentare, dann Brandsätze

Hass im Netz ist auch für unser Projekt ein Problem. Wer sind die Menschen, die "Schaffen wir das?" offenbar gezielt aufmischen wollen und was kann gegen sie unternommen werden?

So mancher Facebook-User verhält sich im Netz, als wäre er auf einer öffentlichen Toilette. Gemeint sind damit jene zweifelhaften Raststätten-Klos entlang der Autobahn, die oft mit allerlei sexistischen und rassistischen Kritzeleien bemalt sind und die man nur dann aufsucht, wenn sich das Wasser wirklich nicht mehr halten lässt. Medienhäuser kennen das Problem schon seit einigen Jahren: Eine statistisch gesehen meistens männliche Gruppe von Usern lässt ihren Emotionen freien Lauf – häufig im Schutz der virtuellen Anonymität. In der Folge haben einige Verlage die Kommentarfunktion auf ihren Internetseiten deaktiviert. Andere versuchen, die Debatte wieder in normale Bahnen zu führen. Doch das bindet Mitarbeiter, die dann anderswo fehlen. Nicht jede Zeitung kann sich das leisten. Was bleibt, ist die Wut der Hetzer und so verlagert sich die schmutzige Debatte in die häufig weniger regulierten sozialen Medien. Auch beim Blick in die Kommentarspalten von „Schaffen wir das?“ konnte den Lesern hin und wieder übel werden.

Auf der Facebookseite unseres Langzeitprojekts zur Flüchtlingskrise erschien zum Beispiel ein Foto einer öffentlichen Hinrichtung am Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Nutzer „Tobias S.“ hatte es veröffentlicht. Auf dem Bild war ein Wehrmachtssoldat zu sehen. Um seinen Hals hing ein Schild mit der Aufschrift „Ich habe mit den Bolschewisten paktiert“. Damit sollte der Redaktion wohl gesagt werden: Wer sich mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gemein macht, der wird eines Tages so enden, wie dieser „Verräter“. Kurze Zeit später schrieb der User „Christian S.“ unter eines unserer Videos, dass er seine „Walter P9“ bereits durchgeladen habe. Ein anderer warnte uns vor dem kommenden Bürgerkrieg, ein weiterer User erklärte uns , dass der Islam alles töten werde, „was sich in den Weg stellt“. Und ein anderer schilderte uns seine sexuellen Phantasien im Hinblick auf die Bundeskanzlerin. Falsche Grammatik, Rechtschreibfehler und fehlende Logik wie immer inklusive.

Wir hatten uns vor dem Start von „Schaffen wir das?“ lange überlegt, wie wir solche Entgleisungen unterbinden können. Ein Ergebnis war eine mehrseitige Liste mit „unerwünschten“ Wörtern, die von Facebook automatisch erkannt werden. Beiträge, in denen einer dieser Begriffe auftaucht, werden sofort blockiert. Unglücklicherweise lässt sich schlecht vorhersagen, welche Wörter tatsächlich benutzt werden (und wie sie im Einzelfall geschrieben werden). Zugleich wollten wir nicht jede Diskussion im Keim ersticken, weshalb die Liste nicht zu restriktiv ausfallen durfte. So bleibt es vor allem Aufgabe der Social-Media-Moderatoren, für den richtigen Ton auf unserer Seite zu sorgen. In einigen Fällen sollte aber auch eine mehrmalige Ermahnung nicht helfen, weshalb wir etwa den schießwütigen User mit der „Walter P9“ bei Facebook meldeten. Nach zwei Tagen erhielten wir die Nachricht, dass kein Verstoß gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorliege. Für das soziale Netzwerk von Mark Zuckerberg war der Fall damit erledigt.

Hajo Funke, Extremismusforscher und emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin, hat sich die Kommentare auf „Schaffen wir das?“ angesehen. Sein Fazit nach der Durchsicht etlicher Screenshots: „Das ist ein Herausrotzen der aggressivsten Form von Vernichtungsvorstellungen, oft sexualisiert und mit Zitaten aus dem Nationalsozialismus versehen“, so Funke. Der Politologe warnt allerdings davor, die Gefahr, die aus solchen „Phantasien“ entstehen könnte, zu unterschätzen. „Wir haben es hier mit dem Übergang zur Realität zu tun“, sagt Funke und verweist auf den Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im niedersächsischen Salzhemmendorf. „Die Täter haben anfangs auch ’nur‘ miteinander gechattet, dann haben sie Molotow-Cocktails geworfen.“ Im Hinblick auf die Flüchtlingskrise zeigt sich Funke aber dennoch optimistisch: So sei die Krise nicht mehr so akut wie noch vor einigen Wochen, außerdem würde die Zustimmung für die AfD schwanken. „Der Justizminister nimmt das Thema Hass im Netz ernst“, betont der Professor. „Erst kürzlich gab es eine Razzia in Berlin, die Bestrafung steht noch aus. Man sieht, dass die Behörden durchaus in der Lage sind, solche Sachen zu unterbinden.“

Der Berliner Medienpsychologe Jo Groebel hat bereits drei Morddrohungen via Facebook erhalten, wie er gegenüber der „Welt“ verrät. „Einfach, weil jemandem meine Nase nicht passt. Übrigens in allen drei Fällen mit Klarnamen“, berichtet der Direktor des Deutschen-Digital-Instituts. Groebel glaubt, dass vielen Usern die Tragweite ihrer Einträge gar nicht bewusst sei. Dass es gerade beim Thema Flüchtlinge so häufig zu verbalen Eskalationen kommt, hängt für ihn zum einen mit dem Gruppeneffekt zusammen. „Viele Nutzer denken sich inzwischen: Da sind viele andere, die auch so denken. Also kann ich das auch sagen“, sagt Groebel. Der zweite Punkt sei die fragwürdige Moralvorstellung von sozialen Netzwerken, wonach etwa eine weibliche Brust innerhalb weniger Minuten vom System erkannt und gelöscht werde, Gewalt aber anscheinend „okay“ sei. „So etwas macht mich fassungslos. Denn technisch ist es sehr wohl möglich, Einträge entsprechend zu filtern.“ Aus Groebels Sicht hat der Hass im Netz durch die Flüchtlingskrise noch einmal an Härte zugelegt, da ein Teil der Bevölkerung „in den Migranten die ‚passende‘ Außengruppe gefunden hat“. Diese Leuten würden ihre eigene Identität dadurch stärken, indem sie andere Leute abwerten.

Nina Springer, Kommunikationswissenschaftlerin an der LMU München, hat über die „Kommentarfunktion auf Online-Nachrichtenseiten“ promoviert. Auch sie ist der Meinung, dass Sprache im Netz grundsätzlich härter ist. Gleichzeitig stellt sie die Frage, ob diese sehr derbe Form der Debattenkultur nicht schon immer da gewesen ist – mit dem Unterschied, dass sie in der analogen Welt nicht öffentlich sichtbar gemacht werden konnte. Im Rahmen einer Studie fand sie Hinweise auf bestimmte Gruppen, die im Netz gezielt nach Seiten suchen, um Diskussionsrunden aufzumischen. Ein Beispiel dafür sei der Versuch der schwedischen Boulevardzeitung „Aftonbladet“ gewesen, die Diskussion über die rechtspopulistische Partei „Sverigedemokraterna“ zu steuern, indem man während des Wahlkampfes 2010 eine Kampagne für „Multikulti“ initiierte. „Die Anhänger der Partei scheinen sich dann organisiert zu haben, um auf der Internetseite der Zeitung zu ganz anderen Themen gezielt Aufmerksamkeit für die eigene Sache zu erregen“, berichtet Springer. Seitenbetreibern wie „Schaffen wir das?“ rät sie deshalb zu einer genauen Beobachtung der Kommentarspalten und verweist auf die „Broken-Window-Theorie“, die zeigt, wie ein zerbrochenes Fenster in einem leeren Haus zu völliger Verwahrlosung führen kann.

Text: Felix Rentzsch

1. August 2016, 14:24 h

Wir schaffen das nicht

Die große Mehrheit der "Schaffen wir das?"-User zweifelt an der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Hier geht es zur Auswertung unserer Umfrage, an der insgesamt 253 Personen teilgenommen haben.