„Durch Nichtstun brennen Flüchtlinge innerlich aus“

Die Bildunginitiative Kiron will Flüchtlingen ein Studium zu ermöglichen, unbürokratisch und flexibel. Ein Interview mit Gründer Markus Kreßler.

Wie unser Projekt mit Terror umgeht

Kürzlich erreichte uns ein Leserkommentar mit dem Vorwurf: „Rückschläge werden bei Euch kaum thematisiert.” Anlass genug, um Stellung zu beziehen – gerade nach den vergangenen Tagen und Wochen

Apotheker ohne Grenzen: Die Helfer im Hintergrund

Etwa eine Million Flüchtlinge kamen 2015 nach Deutschland. Viele brauchen medizinische Hilfe. Tausende ehrenamtliche Ärzte in Notunterkünften bekommen dabei Unterstützung von Apotheker ohne Grenzen.

22. März 2016, 13:52 h

„Eigentlich müsste man alle Helfer abziehen“

Lanciert als einmalige Spendenaktion, arbeiten bei „Kreuzberg hilft” in Berlin heute mehrere hundert Menschen – von sieben bis 70 Jahren, vom Kind bis zur wissenschaftlichen Mitarbeiterin.

Redaktion: Was war Ihre Motivation, bei „Kreuzberg hilft“ mitzuwirken?

Helfer: Die Notwendigkeit. Es war notwendig zu helfen, es gab keine Alternative. Eine der Gründerinnen sagte mal: „Nichtstun ist keine Option.“ Das trifft es sehr gut.

Wie hat sich denn die Bürger-Initiative seit der Gründung entwickelt?

Anfangs war die Idee, dass wir Spenden sammeln, sortieren und bedarfsgerecht in die Unterkünfte liefern. Dann haben wir gemerkt, dass wir anstatt nur Dinge zu Menschen bringen, auch gerne Menschen mit Menschen zusammenbringen würden. So ist die Arbeitsgruppe „Action“ entstanden, die zum Beispiel gemeinsam mit Geflüchteten Fußball spielt, kocht oder Yoga macht.

Und wie läuft der Alltag in der Initiative ab?

Für den Spendenraum haben wir online einen Schichtplan erstellt. Da schreibt jeder rein, was er wann machen kann. Es gibt regelmäßige Treffen und einmal die Woche ein Infotreffen im Spendenraum (dienstags um 19 Uhr). Dahin kommen Menschen, die Spenden abgeben wollen oder sagen ‚Ich möchte gerne mal mit den Flüchtlingen Fußball spielen‘.

Die meisten Helfer haben bestimmt noch einen Hauptberuf. Wie meistern sie diese Doppelbelastung?

Ehrenamt geht – gerade in Berlin – über das Ehrenamt hinaus. Da muss man für sich persönlich aufpassen, dass es eine Balance gibt. Aber bei den Initiativen kann sich jeder soweit einbringen wie er oder sie möchte. Trotzdem gibt es Kollegen, die Tag für Tag engagiert sind, fast Vollzeit im Spendenraum stehen. Das geht langfristig so nicht weiter. Diese Notsituation, die am Anfang da war, hat sich verstetigt. Die Verwaltung verlässt sich darauf, dass Leute wie wir da sind. Das System wäre ohne Ehrenamtliche einfach nicht tragbar.

Lässt einen das oft zweifeln?

Zweifel oder ein Hinterfragen gehört immer dazu. Wir fragen uns schon, ob wir durch unser Engagement ein System aufrecht erhalten, das wir kritisieren. Aber wir wissen, wofür wir es machen: Um die Situation der Geflüchteten zu verbessern. Langfristig muss der Fokus von der Unterstützung durch „Sachen“ hin zu „Menschen machen was mit Menschen“ verschoben werden. Das sollte der Kern sein. „Kreuzberg hilft“ ist eine langfristige Initiative und wird sicher auch in zwei Monaten noch existieren.

Wie wichtig sind solche Initiativen?

Sie sind essentiell. Es gibt es in den Unterkünften derzeit zu wenig wirklich engagierte Hauptamtliche – das muss deutlich aufgestockt werden. Ein Beispiel: Als am 5. und 6. November in Kreuzberg zwei Notunterkünfte geöffnet wurden, haben die Hauptamtlichen dabei zugesehen, wie Ehrenamtliche die Feldbetten aufstellen.

Und da hat sich nichts verändert?

Anfangs hat man den Betreiber noch in Schutz genommen, es war natürlich alles sehr kurzfristig. Nicht in allen Unterkünften, aber teilweise fehlen sogar Hygieneartikel – Toilettenpapier, Deo und so weiter. Dann wird sich darauf verlassen, dass sich die freiwilligen Helfer darum kümmern. Das ist diese Verstetigung des Verlassens auf Ehrenamt, das wir natürlich kritisieren.

Was muss denn diesbezüglich getan werden?

Eigentlich müsste man alle Helfer abziehen, um zu sehen was passiert. Das machen wir aber natürlich nicht. Die Betreiber der Notunterkünfte müssten besser ausgewählt werden. Damit ginge auch ein besseres Qualitätsmanagement einher. Außerdem ist die Personalsituation schlecht. Der zuständige Sachbearbeiter im Lageso betreut 60 Unterkünfte – das geht nicht. Derzeit machen in vielen Fällen die Ehrenamtlichen die Qualitätskontrolle und die äußern natürlich Kritik an den Zuständen in den Unterkünften. Was war die Folge? Einige Ehrenamtliche haben vom Betreiber Hausverbot bekommen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) muss die Ehrenamtlichen vor solchen Vorgängen schützen und sie unterstützen. Möglich wäre das durch Ehrenamtskoordinatoren mit einer Struktur, einer Begleitung oder Beratung. Denn man darf nicht vergessen, dass die meisten Freiwilligen für diesen Job nicht ausgebildet sind.

Vor ein paar Wochen wurde von einem Helfer von „Moabit hilft“ ein Flüchtling fälschlicherweise für tot erklärt. Waren Sie da wütend?

Es war entlarvend, wie schnell es alle geglaubt haben. Aber ich werde daran nicht mein Engagement festmachen, nur weil einer zusammenbricht. Durch diese Überarbeitung und die emotionale Verbundenheit, die auch dazu gehört, brauchen Ehrenamtliche Unterstützung – das hat dieser Fall gezeigt.

Sind danach weniger Ehrenamtliche zu der Initiative gekommen?

Nein, überhaupt nicht.

Was denken Sie, wie konnte so was passieren?

Es gibt überall schwarze Schafe. Da haben Menschen einfach viel zu viel Verantwortung, sind nicht ausgebildet und arbeiten zu viel. Weil eine Verwaltung, ein Staat es nicht organisiert bekommt. Es gibt keine Flüchtlingskrise, es gibt eine Verwaltungskrise.

Ist das ein Einzelfall oder ein Gesamtproblem?

Das ist ein Gesamtproblem. Das hier war natürlich ein Einzelfall, aber die gesamte Überlastung der Helfer – inklusive Burnout, Depression – kann passieren. Bei manchen Helfern muss man aufpassen, wenn man merkt, es wird zu viel. Aber bei uns wurde immer rechtzeitig „Stop“ gesagt.

Wie steht die Initiative zu den Vorkommnissen in Dresden und Clausnitz? Fühlen Sie sich mit Ihrer Arbeit weniger wahrgenommen?

Ich finde die Vorkommnisse abstoßend. Das motiviert mich nur, mich noch mehr zu engagieren und zu verbreiten, dass man das Richtige tut. Es nervt total, dass die lauter sind als wir. Das heißt aber nicht, dass sie in der Mehrheit sind.

Glauben Sie, dass Deutschland es schaffen kann?

Ja. Aber die Verantwortlichen müssen aufwachen und mit Geflüchteten und Ehrenamtlichen reden, wie es besser zu schaffen wäre.

Das Interview führte Jessica Gielen