Wollen Flüchtlinge studieren, scheitern sie oft an bürokratischen Hürden. Für die Anmeldung fehlen wichtige Dokumente, die sie in der Heimat zurückgelassen haben, oder ihr Aufenthaltsstatus berechtigt sie noch nicht zu einem Studium. Die Bildungsorganisation Kiron will den Betroffenen helfen. Bei dem Start-up dauert die Anmeldung ein paar Stunden, Dokumente können nachgereicht werden.
In den ersten zwei Jahren lernen die Studenten in Online-Kursen. Diese werden nicht direkt von Kiron selbst angeboten, sondern von anderen Plattformen. Kiron koordiniert diese Angebote und stellt sie für die einzelnen Studiengänge zusammen.
Wenn ein Student alle Prüfungen bestanden hat, wechselt er auf eine der Partneruniversitäten von Kiron. Darunter sind die Universität Heilbronn, die RWTH Aachen, die SciencesPo in Paris oder die Hashemite University in Jordanien. Dort steigt der Student in das reguläre dritte Semester ein und bekommt den Abschluss von diesen Hochschulen verliehen. Markus Kreßler, 26, ist Gründer und Geschäftsführer von Kiron.
Was sind bisher die größten Hürden für Flüchtlinge, die studieren wollen?
Markus Kreßler: Die Hürden sind weltweit die gleichen. Die Universitäten sind in vielen Ländern stark ausgelastet, dadurch gibt es wenige Plätze. Zudem ist ein Studium immer eine finanzielle Belastung, die sich viele Flüchtlinge schlicht nicht leisten können. Ein anderes Problem sind die Dokumente, die oft fehlen oder nicht anerkannt werden. Auch erlaubt der Aufenthaltsstatus meist kein Studium. Schließlich scheitert es auch an den Sprachkenntnissen.
Brauchen Flüchtlinge andere Rahmenbedingungen als reguläre Studenten?
Definitiv. Es geht etwa darum, zeitlich und örtlich flexibel zu sein. Wir bieten die meisten Kurse auf Englisch an, viele Videos lassen sich einfach untertiteln. Falls ein Flüchtling Deutschland wieder verlassen muss, kann er sein Studium an einer unserer anderen Partneruniversitäten wie beispielsweise in Jordanien fortsetzen. Da unsere Studenten erst in späteren Semestern an die Universitäten gehen, füllen sie nur Plätze von Studienabbrechern auf. Dadurch werden ohnehin freie Kapazitäten genutzt.
Wie kann das Potenzial der Flüchtlinge genutzt werden?
Unsere Herangehensweise ist nicht „Wir schaffen das“, sondern die Menschen in den Vordergrund zu stellen, die es selbst „schaffen“ wollen. Nicht alle Deutschen wollen selbst mit anpacken, um bei der Integration zu helfen. Also geht es darum, den Flüchtlingen die Chance zu geben, sich selbst zu integrieren. Wenn man es schafft, den Menschen direkt oder den Hilfsorganisationen die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen, dann würde das schneller sein. Da muss es einen Wandel bei der Herangehensweise geben.
Was ist mit Flüchtlingen, die nur wenige Jahre zur Schule gegangen oder sogar Analphabeten sind?
Bildung muss es auf jeder Ebene geben. Mit dem deutschen Schulsystem haben wir eine wirklich gute Einrichtung, die da viel auffangen kann. Bei den Menschen über 18 ist es schwieriger, weil ihnen der Zugang zur Schule verwehrt bleibt. Ich denke, dass hier digitale Angebote besser genutzt und gefördert werden könnten. Diese sind flexibel, erheblich günstiger und haben in ersten Feldstudien gute Abschlussquoten.
Was hat Sie bislang beim Umgang mit Ihren Studenten überrascht?
Wir hatten zunächst ein sehr freies Studienangebot entwickelt. Aber wir haben schnell gemerkt, dass unsere Studenten eine starke Führung wollen: einen verschulten Stundenplan etwa. Das sind die meisten aus den Bildungssystemen ihrer Heimat so gewohnt. Eine Sache, die mich positiv überrascht hat, war die Zusammenarbeit mit den Universitäten. Sie waren sehr offen, mit uns kooperieren.
Was ist die Motivation der Flüchtlinge für ein Studium?
Viele unserer Studenten haben bereits einen Universitätsabschluss. Für sie ist ein weiteres Diplom nicht das wichtigste Ziel, sondern ein Statuswechsel. Sie sind dann nicht mehr Geflüchtete, sondern Studenten. Das ist eine Frage von Sozialprestige, aber auch von konkreten Möglichkeiten, etwa, was Praktika und Nebenjobs angeht. Am Ende geht es aber auch um den Einstieg in den Arbeitsmarkt.
Vergangene Einwanderergenerationen hatten meist deutlich schlechtere Bildungsbiografien als der Bevölkerungsdurchschnitt. Wie kann das bei der aktuellen Einwanderergeneration verhindert werden?
Gleiche Verhältnisse wie bei der einheimischen Bevölkerung wird es nie geben. Doch das Schlimmste ist meiner Meinung nach das Warten. Wenn Menschen zum Nichtstun gezwungen werden, brennen sie innerlich aus und erholen sich davon nicht mehr. Dass der Großteil der Flüchtlinge so jung ist, hat unglaubliche Vorteile. Sie sind formbar und lernen die Sprache schnell. Ziel muss es sein, den Leuten zu ermöglichen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen.
Das Interview führte Tobias Heimbach.