Sven Gempper ist frustriert. Eigentlich wollte er in seinem Betrieb in Sachsen-Anhalt pro Quartal acht Flüchtlingen die Chance geben, erste Arbeitserfahrungen zu sammeln. Unbezahlte Praktika in einer eigens für sie eingerichteten Lehrwerkstatt sollten ihnen grundlegende Fähigkeiten und erste Eindrücke vom deutschen Arbeitsmarkt vermitteln. Doch das Problem ist: Es fehlt schlichtweg an geeigneten und interessierten Kandidaten – vor allem mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit. Nachdem bereits in der zweiten Praktikantengruppe Gemppers beim Landmaschinenhersteller AGCO sechs Afghanen waren, die wahrscheinlich in ihr Heimatland zurück müssen, hat der Unternehmer das Programm kurzerhand für drei Monate ausgesetzt. „Das ist eigentlich nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben, denn wir wollten den Flüchtlingen den Start auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland erleichtern. Wenn abzusehen ist, dass die Menschen in ihre Heimat zurückkehren, ist das nicht Sinn der Sache“, erklärt er seinen Schritt. Denn sein Integrationspraktikum soll keine bloße Beschäftigungsmaßnahme sein.
Einer, der zwar bleiben darf, aber dennoch nicht auf dem Arbeitsmarkt integriert ist, ist Hamza Mahfood. Im August 2015 kam er nach Deutschland, zuvor hatte er in seinem Heimatland Syrien Philosophie studiert. Damit gehört er laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu den etwa 20 Prozent der Flüchtlinge mit einem Gymnasialabschluss. In Deutschland lernte er jedoch zuerst eins: Warten. Tagelang harrte er vor dem damals chronisch überlasteten Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin aus, anschließend verbrachte er drei Monate damit, alle nötigen Unterlagen für das JobCenter zu organisieren. Mittlerweile wohnt er, finanziert vom JobCenter, in einer WG und macht einen Integrationskurs. Von seinen großen Plänen, schnellstmöglich ein Studium der englischen Literatur in Deutschland zu beginnen, ist vorerst nur wenig übrig geblieben. „Ich habe im Moment keine wirkliche berufliche Perspektive, denn in Syrien habe ich nur in einem Internet-Café gearbeitet. Zuerst sollte ich also an meinem Deutsch arbeiten, und dann weitersehen“, sagt er ernüchtert.
Dabei werden hoch qualifizierte Flüchtlinge wie Mahfood in Zukunft stark gefragt sein. „Aktuelle Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass etwa 80 Prozent der Flüchtlinge keine Berufsausbildung haben. Kaum besser sieht es mit der Schulausbildung aus – zumal es eine Schulpflicht von zehn Jahren wie in Deutschland in den Herkunftsländern der Flüchtlinge nicht gibt. Die allermeisten werden daher nur für einfache Jobs in Frage kommen, und diese verlieren dem Trend nach immer mehr an Bedeutung“, erklärt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung den gegenläufigen Trend. Um die Flüchtlinge fit für den Arbeitsmarkt zu machen, muss also zuerst in Bildung investiert werden. Wie viel das kosten wird, lässt sich zurzeit noch nicht abschätzen – nur eins ist sicher: Es werden pro Kopf erhebliche Kosten anfallen. Und auch eine weitere Entwicklung gibt Brenke im Hinblick auf die Zukunft zu bedenken: „Kehrt mehr Ruhe in Nahost ein, dürften sich auch zahlreiche Flüchtlinge wieder zurück auf den Weg in ihre Heimat machen. Wahrscheinlich werden das die tatkräftigeren und wohl die besser qualifizierten Personen sein, die beim Wiederaufbau ihres Landes helfen wollen und eine gute Chance für ihre berufliche Entfaltung sehen.“
Um den Flüchtlingen auch in Deutschland solche Chancen zu eröffnen, werden immer mehr Initiativen und Programme wie das von Sven Gempper ins Leben gerufen. In Zusammenarbeit mit dem Burgenlandkreis will er Flüchtlingen in seinem Betrieb in Hohenmölsen erste Grundkenntnisse im Metallbau, deutsche Tugenden und Sprachkenntnisse vermitteln. Die Zahl von acht Praktikanten pro Quartal ist angesichts der Flüchtlingszahlen zwar ernüchternd gering – allein im August 2016 wurden laut BAMF über 89.000 Erstanträge auf Asyl gestellt – , doch immerhin: Einen Hilfsarbeiter aus Guinea-Bissau konnte Gempper bereits einstellen, ein Syrer hat außerdem vor kurzem eine Ausbildung bei ihm begonnen. „Manchmal muss man als Unternehmen ein bisschen vorangehen, dann zieht man die anderen auch mit“, sagte der Werksleiter zu Beginn des Projekts im vergangenen Winter. Und das scheint gefruchtet zu haben: In der Initiative „Wir zusammen“ etwa haben sich große deutsche Unternehmen zusammengeschlossen, um die Integration der Ankommenden in den Arbeitsmarkt zu unterstützen.
Wirtschaftswissenschaftler Brenke sieht solche Initiativen jedoch kritisch: „Den Begriff der ‚Wilkommenskultur‘ hatten sich die Unternehmerverbände lange Zeit auf die Fahnen geschrieben – insofern wären sie durchaus in der Pflicht“, erklärt er. „Die Unternehmen sind allerdings keine Wohltätigkeitsorganisationen; sie stellen nur dann Leute ein oder bilden sie aus, wenn es sich für sie lohnt. Und die Kandidaten für eine Anstellung oder Ausbildung werden sie sich ansehen und dann gemäß ihrer Interessen handeln. Von irgendwelchen Kampagnen wird sich dabei kaum jemand beeinflussen lassen.“
Trotz aller Bemühungen sind nach wie vor auch die bürokratischen Hürden nicht zu unterschätzen: Erst nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland dürfen Asylbewerber und Geduldete eine Arbeit aufnehmen, doch auch dann gilt noch die Vorrangprüfung. Hat ein Asylbewerber also eine Stelle in Aussicht, muss zunächst geprüft werden, ob ein Deutscher oder EU-Bürger mit entsprechender Qualifikation dafür in Frage kommt. Und ob die gestarteten Wirtschaftsinitiativen mehr als PR-Mittel und symbolisches Zeichen eines guten Willens sind, steht außerdem infrage. Hamza Mahfood etwa, der mit seinen 20 Jahren und einer Hochschulausbildung ein durchaus attraktiver Kandidat für diverse Unternehmen wäre, hat von solchen Projekten noch nie etwas gehört.
Bei Sven Gempper in Hohenmölsen beginnt derweil aktuell eine neue Gruppe ihr Integrationspraktikum. Die Herkunftsländer sind wieder gemischt: Eritrea, Syrien, Afghanistan und Benin sin dabei. Einige von ihnen werden vermutlich nicht in Deutschland bleiben dürfen. „Trotzdem geben wir der neuen Gruppe eine faire Chance und schauen, wie sie sich entwickeln“, erklärt der Werksleiter. Wie viele der Teilnehmer diese Chance ergreifen und das Praktikum beenden werden, ist jedoch unklar. „Wenn jemand hier etwas lernen will, begreift er die Chance und er ist voll motiviert. Die, die das nicht so sehen, hören auf. Solche Fälle hatten wir“, sagt Gempper.
Ein möglicher Grund für fehlende Motivation besteht darin, dass die Flüchtlinge durch das Projekt kein eigenes Geld verdienen. Während des dreimonatigen Praktikums sind sie weiterhin auf die Zahlungen der Behörden angewiesen. „Aus Sicht des Unternehmers kann ich den Praktikanten nicht auch noch Geld zahlen. Was sie produktiv leisten, deckt den Aufwand nicht, den wir betreiben, um sie anzulernen“, so Sven Gempper. „Müsste man die Integrationspraktikanten zusätzlich noch bezahlen, würde die Bereitschaft von Unternehmen, sie einzustellen, noch geringer werden.“
Und auch auf lange Sicht hat der Unternehmer bedenken, was die Bezahlung von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt angeht: „Auch den Mindestlohn halte ich für hinderlich, wenn es darum geht, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Deutschland ist ein Hochlohnstandort und das muss durch gute Ausbildung und Fleiß erarbeitet werden. Wenn das nicht gegeben ist, ja oft nicht einmal die notwendigen Sprachkenntnisse vorhanden sind, kann man einem Mitarbeiter nicht 8,50 Euro pro Stunde zahlen, weil er dann schlichtweg nicht in der Lage ist, den entsprechenden Gegenwert zu erbringen.“
Von Christina Wenig und Johannes Malinowski