Wer sind die Menschen, die sich seit Monaten für Flüchtlinge einsetzen und dafür einen Großteil ihrer Freizeit opfern? Was verbindet sie und warum sind sie sich doch so oft fremd? „Schaffen wir das?“ hat sich für einen Tag in den Mikrokosmos der Berliner Helfer-Szene begeben.
Das „Welcome Camp“ beginnt mit einem Missverständnis. Gleich am Empfang werde ich begrüßt als „der Mann von der Flüchtlings-Initiative ‚Wir schaffen das!'“. Tatsächlich bin ich ein Exot unter den Teilnehmern der heutigen Helfer-Konferenz, die sich zum Ziel gesetzt hat, Unterstützer miteinander zu vernetzen. Etwa 200 Namensschilder liegen auf einem Tisch im Foyer des Verlagshauses vom „Neuen Deutschland“. Knapp 100 von ihnen werden auch noch am Abend da liegen. Die Arbeiterwohlfahrt, das Rote Kreuz und viele andere bekannte Organisationen sind einfach nicht gekommen. Die Veranstalter sind verständlicherweise enttäuscht. Sie haben über Monate ehrenamtlich gearbeitet und nach Sponsoren gesucht, um möglichst viele Aktivisten an einen Tisch zu bringen. Doch die schlechten Nachrichten reißen nicht ab: Das Planungsteam hatte 20 Neuankömmlinge eingeladen – erschienen ist keiner von ihnen.
Und so sprechen wir gezwungenermaßen über Flüchtlinge (oder wie es hier politisch überkorrekt heißt: Geflüchtete), ohne dass einer von ihnen anwesend ist. Der Stimmung schadet das nicht. Ein Teil der Helfer kennt sich bereits von ähnlichen Treffen. Auf den Tischen liegen reihenweise Croissants und Bananen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung und Verdi haben ihre Büros gleich ein paar Meter weiter. Passend dazu gibt es jede Menge Werbematerial der Partei „Die Linke“. Der alte Charme des Verlagshauses scheint schon nach kurzer Zeit auf einige Teilnehmer abzufärben. „Seid bereit“, ruft jemand in alter Pionier-Tradition. „Immer bereit“, antwortet ein anderer pflichtbewusst. Währenddessen basteln sich die Teilnehmer einen Konferenzplan. Das ist Teil der Idee eines sogenannten „Barcamps“. Der Inhalt steht noch nicht fest. Klar ist nur, dass es eine bestimmte Anzahl an Räumen gibt und eine bestimmte Anzahl an freien Zeitfenstern.
Nina Galla hat eine „Session“ zugeteilt bekommen. Der Titel lautet: „Pegida kaputt machen, bevor sie uns kaputt machen“. Zehn Zuhörer sitzen mit ihr in einem Raum. Eine Stunde lang wollen sie über die geplante Kampagne diskutieren. Galla will eine große Gegenbewegung zu den Montags-Demonstrationen etablieren. „Mit den sprachlichen Mitteln der AfD, aber mit unserem Inhalt“, erklärt sie. Der Vorschlag sorgt für Falten in den Gesichtern der Zuhörer. „Du musst dann aber wegen der gewaltbereiten Antifa aufpassen“, rät jemand aus dem Publikum. „Und du solltest es nicht Demo nennen. Das kommt nie gut an“, empfiehlt jemand anderes. Weitere Vorschläge sind: ein charismatischer Führer, der die Leute mitreißt und eine medienwirksame Inszenierung. Galla will das alles nicht. Sie möchte schlicht wissen, wer sie bei ihrem Projekt unterstützen kann. Drei Hände gehen hoch. Konkrete Pläne werden nicht vereinbart. Eine andere Teilnehmerin will auf ihre eigene Weise mithelfen: „Ich gehe nicht mehr auf Demos, aber ich unterstütze dich gedanklich“, verspricht sie.
Nicht alle Teilnehmer sind mit festen Zielvorstellungen zum „Welcome Camp“ gekommen. Die größte Gemeinsamkeit der Anwesenden ist ihre Heterogenität. Jung und alt, Männer und Frauen. Einige von ihnen stehen ganz am Anfang ihres Engagements, wieder andere haben ihre Hobbys im letzten Sommer aufgegeben, um sich gleich mehreren Flüchtlingsprojekten widmen zu können. Ulrike Thalheim beispielsweise kommt auf 20 Stunden Ehrenamt in der Woche – neben dem Beruf versteht sich. „Aber es macht auch Spaß und wenn es nicht so freundschaftlich wäre, dann hätte ich auch schon längst aufgehört“, betont die Berlinern. Sie und drei weitere Mitstreiter betreiben das Internetportal „Metacollect“. Dabei handelt es sich um einen „Open Data Service“, der Informationen über zivilgesellschaftliche Projekte zentral sammelt.
Was Thalheim vom „Welcome Camp“ mitnimmt? Drei Visitenkarten, darunter sogar die einer „potenziellen Geldgeberin“. Außerdem habe man viel gelernt – über Organisation, Motivation und Social Media. Tatsächlich gibt es eine „Session“ mit dem Titel „Snapchat für Beginner“. In einer anderen Sitzung werden Stationen einer Flucht mit Lego-Steinen nachgebaut. Die Bauklötze sollen helfen, ein negativ wahrgenommenes Thema mit etwas Positivem zu verbinden – nämlich den Lego-Steinen und dem Spaß beim Spiel. „Niemand klickt gerne auf ein Foto von leidenden Kindern im Schlauchboot“, erklärt Kommunikations-Experte Oliver Berger. Mit dem Lego-Trick könne man große Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, betont Berger und verspricht sieben- bis achtmal mehr „Gefällt mir“-Angaben. Die Zuhörer sind schwer beeindruckt.
Die harmonische Stimmung wird kurz darauf unterbrochen: Ein paar „Nazi-Trolle“ haben den Hashtag #welcomecamp gekapert, was bedeutet, dass sie ihre rechten Botschaften unter die übrigen Kommentare zur Veranstaltung setzen. Mitorganisator Oliver Berger ist der Meinung, dass man Störenfriede am besten bekämpft, indem man nicht auf sie reagiert, es sei denn, sie würden zu Straftaten aufrufen. Ulrike Thalheim ist empört. Sie will, dass die Trolle blockiert und ihre Einträge gelöscht werden. „Tut mir leid, aber das ist jetzt der Moment, an dem ich dem Hashtag nicht mehr folgen kann“, erklärt sie kühl. Für ein paar Sekunden herrscht Stille im Raum.
Auch „Schaffen wir das?“ hat eine Session gewonnen. Das Thema meines Vortrags lautet: „Journalismus in Zeiten der Flüchtlingskrise“. Natürlich will ich auch Werbung für unser Projekt machen – so ehrlich muss man sein. Ich versuche, mich einer aufkommenden Genderdebatte zu entziehen, indem ich einen Beitrag über die „Super-Oma“ an die Wand projiziere. „Ich denke, sie hat gar keine Kinder. Warum nennt ihr sie dann Oma?“, möchte eine Frau wissen. Ich erkläre, dass Anneline Kleeberg „ihre“ Flüchtlinge wie ihre eigenen Kinder oder Enkelkinder behandelt. Doch das überzeugt die Teilnehmerin nicht.
Kurz darauf fragt sie, ob wir auf unserer Facebook-Seite Spendenaufrufe für Flüchtlingsinitiativen machen könnten. Als ich das verneine und sage, dass wir keine Werbung für Organisationen machen, egal wie gut sie auch sein mögen, merke ich: Wir werden keine Freunde mehr. Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der diese Erfahrung macht: Andere Teilnehmer berichten, wie schwer es ist, zwei inhaltlich verwandte Projekte zusammenzulegen. Die Konkurrenz ist groß, der Egoismus und oft auch die Eitelkeit sowie die Sorge, die Fäden aus der Hand zu geben. Wenn du mir nicht hilfst, dann helfe ich dir auch nicht, lautet scheinbar die Devise. Als ich abends nach Hause komme, schaue ich auf den Account von „Schaffen wir das?“. Ergebnis nach einem Tag unter 100 aktiven Flüchtlingshelfern: ein neuer Abonnent.
Text und Fotos: Felix Rentzsch
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Anmerkung der Redaktion:
Dieser Artikel wurde im Netz kontrovers diskutiert. Die Organisatoren des „Welcome Camps“ verfassten unter anderem den folgenden Blogeintrag, um ihre Sicht zu äußern. Andere User begrüßten dagegen die kritische Haltung des Textes. Im Sinne von Transparenz und Meinungsvielfalt verweisen wir gerne auf die Äußerungen des „Welcome Camps“, damit sich jeder Leser ein eigenes Bild machen kann.
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